Hartwig Berger, MdA Berlin Berlin, den 27.10. 2000 An den zugleich an den sowie an den Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen
Mängel und Umweltrisiken bei dezentralen Zwischenlagern für hochradioaktive Abfälle Lieber Wolfram König, Für Deine Antwort auf meinen Offenen Brief zu dezentralen Zwischenlagern an den Bundesvorstand der Bündnisgrünen danke ich Dir. Deine Erläuterungen sind in der Sache durchaus hilfreich und weiterführend, doch lassen sie Probleme von hoher atom- wie umweltpolitischer Relevanz offen und werfen zudem neue und wichtige Fragen auf. Du wirst deshalb verstehen, wenn ich meine Stellungnahmen und Fragen zu Deiner Antwort darlege und damit die Hoffnung verbinde, daß sie in den laufenden Genehmigungsverfahren Berücksichtigung finden. Wie meinen ersten Brief, werde ich meine Antwort auch an den Bundesvorstand der Grünen, insbesondere aber an den Bundesumweltminister richten, da ich mir gut vorstellen kann, daß einige der aufgeworfenen Fragen und Probleme nicht vom BfS, sondern vom BMU zu regeln sind. Wegen der politischen Bedeutung und Brisanz der dezentralen Zwischenlager werde ich mein Schreiben auch innerhalb von Bündnis 90/Die Grünen verbreiten. Wie Du weißt, habe ich mich bemüht, wie auch von Dir gewünscht, mit Deinem Schreiben ebenso zu verfahren.. 1. Sicherheit der geplanten Lager Ich werte Deine Zusicherung positiv, daß das Bundesamt für Strahlenschutz - und sicher ebenso das Bundesumweltministerium - sich erst nach Auswertung der ExpertInnenrunden, der öffentlichen Erörterungen und der Arbeit der Reaktorsicherheitskommission (RSK) eine abschliessende Meinung zu den Sicherheitsanforderungen bilden wird. Ich frage mich dann allerdings, warum beim Genehmigungsverfahren zum Zwischenlager am AKW Lingen anders verfahren wurde und schon Vorfestlegungen getroffen wurden. Die Halle wird derzeit in einer Weise gebaut, daß sie nicht gegen Flugzeugabstürze und terroristische Anschläge ausgelegt ist. Deshalb sehe ich mich auch nach sorgfältiger Lektüre Deines Briefes veranlaßt, das Verlangen nach einer Sicherung der Lagerhalle selbst gegen Flugzeugabstürze und gegen terroristische Anschläge zu wiederholen. Du sagst, daß " alle wahrscheinlichen (von mir gesperrt) Risiken betrachtet und berücksichtigt werden". Das Problem ist aber doch, daß die genannten und besonders schlimmen Katastrophenfälle nicht zu den "wahrscheinlichen Risiken" gehören , sondern zum prinzipiell hinnehmbaren, nur zu minimierenden, Restrisiko. Wenn aber diese Katastrophenfälle derart fürchterliche Folgen haben, zumal die geplanten Zwischenlager überwiegend in dichtbesiedelten Gebieten liegen, müssen diese schlimmsten anzunehmenden Risiken durch Auslegung der Halle nicht nur minimiert, sie müssen überhaupt vermieden werden. Und es ist ja technisch nicht unmöglich, sondern nur finanziell aufwendiger, eine derart massive Lagerhalle zu bauen. Meine Mahnung, die Hallen auch gegen Flugzeuge und Terrorwaffen sicher zu gestalten, war schließlich nicht aus der Luft gegriffen. Zu den entsprechenden Mängeln der Genehmigung des Zwischenlagers am AKW Lingen haben sich bekanntlich der Landesvorstand Niedersachsen und die Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms, beide Bündnis 90/Die Grünen, einschlägig geäußert. So frage ich denn ganz direkt, ob die Halle in Lingen sicher gegen Abstürze schnellfliegender Militärmaschinen ausgelegt ist? Und ob bzw. wie das Bundesamt für Strahlenschutz und das Bundesumweltministerium den Standard bei den Hallen der anstehenden Zwischenlager und den Betongaragen der Interimslager so erhöhen will, daß sie sicher gegen Flugzeugabstürze und in ihrer Wucht vergleichbare Ereignisse ausgelegt sind? Da des öfteren von einer ausreichenden Sicherheit der CASTOR-Behälter ( "CASTOR" als Synonym für Behälter für abgebrannte Brennelemente) die Rede ist, möchte ich gleich die Frage anfügen, ob denn diese Behälter den Beschuß mit panzerbrechenden Waffen ohne Freisetzung von Radioaktivität aushalten? Sollte das nicht der Fall sein, ist eine unzureichende Auslegung der Halle gegen Flugzeugabstürze und terroristische Anschläge um so mehr ein besonders bedenkliches Sicherheitsmanko, das keinesfalls hingenommen werden darf. Du schreibst von einem Votum, das der "Ausschuß Ver- und Entsorgung" der RSK abgegeben haben soll. Ich frage daher nach, ob denn dieser Ausschuß dafür votiert hat, die Hallendecke als solche so dick auszulegen, wie das z.B. die Umhüllungen der zuletzt in Deutschland gebauten Atomkraftwerke sind? Und ob das BfS und das BMU die Absicht haben, solche Wandstärken wie für AKWs auch bei Zwischen- und Interimslagern zu verlangen? Angesichts der extremen Strahlengefahren der in den Hallen lagernden Fracht, deren Radioaktivitätsinventar insgesamt die eines laufenden Atomkraftwerks weit übertrifft, erscheint mir eine solche Sicherheitsmaßnahme unerläßlich. 2. Falltests für CASTOR-Behälter Es freut mich, daß Du reale Falltests für diese Behälter mit derart hochbrisanter Fracht für sinnvoll und wichtig hältst. Es ist auch erfreulich, daß Du versuchst, die Hersteller zu derartigen Falltests zu bewegen. Ich darf aber mein völliges Unverständnis darüber zum Ausdruck bringen, daß die Atomwirtschaft bisher zu derartigen Falltests nicht bereit gewesen ist, obwohl es in diesem Lande kaum eine gefährlichere Fracht gibt als den Inhalt von CASTOR-Behältern. Ich habe Deinen Brief so verstanden, daß nicht das BfS dafür zuständig ist, reale Falltests zu fordern, sondern dafür die Bundesanstalt für Materialprüfung zuständig ist. Deshalb bitte ich Dich dringend, mein Ansinnen dorthin, vor allem aber an das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft, aber auch an das BMU weiterzuleiten. Gegebenenfalls wäre ein Wechsel in der Zuständigkeit für diese Fragen zu veranlassen. 3. "Scoping" in der Umweltverträglichkeitsprüfung Deinem Brief entnehme ich, daß das BfS für weitere Genehmigungsverfahren sog. Scoping-Termine vorsieht. Ich kann dieses Vorhaben nur unterstützen. Da es aber in den laufenden Genehmigungsverfahren heftige Konflikte mit Umweltverbänden gerade in diesem Punkt gegeben hat, frage ich, wie das BfS das Scoping gestalten will. Die Festlegung der relevanten Untersuchungsbereiche, die "scoping" genannt wird, sollte sowohl dem Inhalt wie der Form nach einvernehmlich mit den Umweltverbänden gestaltet werden. An diesem Punkt darf es keinen Konflikt mit den Verbänden geben. 4. Umgang mit den TÜV-Gutachten Ich begrüsse es, daß Du die Möglichkeit gewährst, auch außerhalb der öffentlichen Auslegung Einblick in die Sicherheitsgutachten und Genehmigungsunterlagen zu geben, wenn diese erst nachträglich fertiggestellt werden. Dennoch finde ich das nicht ausreichend. Die Einwenderinnen und Einwender sind doch in der Erörterung gegenüber den Antragstellern deutlich benachteiligt, wenn sie die sicherheitstechnischen Analysen nicht vorzuliegen haben. Ich bleibe daher bei meinem Anliegen, daß die Sicherheitsgutachten vor Eröffnung des Beteiligungsverfahrens erstellt werden sollten. 5. Größe der Zwischenlager und Restlaufzeiten Ich begrüsse es, wenn Du schreibst, "alle mir zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, (um) atomare Mengenbegrenzungen für den jeweiligen Standort festzuschreiben". Um so mehr überrascht mich deshalb, wenn Du anschliessend erklärst, daß die atomrechtliche Genehmigungsbehörde auf die Grösse der Lagerhalle "keinerlei Einfluß" habe. Dann hätte ich doch gerne gewußt, welche Mittel Du nutzen willst, um Mengenbegrenzungen festzuschreiben. Aus meiner Sicht weist hierzu das Verfahren selbst einen Weg. Die Informationsbroschüre Deines Amtes zur "Dezentralen Lagerung abgebrannter Brennelemente" schreibt dazu: "Sofern im atomrechtlichen Verfahren die grundsätzlichen Punkte abgearbeitet wurden, die die Genehmigung des baurechtlichen Bauverfahrens berühren, ergeht eine Information vom BfS an die zuständige Baugenehmigungsbehörde - das sogenannte "grüne Licht" zum Bauantrag" Ich meine schon, daß die Festlegung von Restlaufzeiten bzw. zulässiger noch zu erzeugender Strommengen ein solcher grundsätzlicher Punkt ist, der selbstverständlich vor der Dimensionierung der Halle geklärt sein sollte. Genau das habe ich in meinem Brief gemeint. Du bestätigst mich indirekt, indem darauf hinweist, daß die Genehmigungsanträge "alle vor dem Abschluß der Konsensverhandlungen gestellt worden sind". Nach der Atomvereinbarung, die erstmalig Mengenbegrenzungen für laufenden Atomkraftwerke festlegt, stellt sich das Problem nämlich anders als in der bisherigen Praxis. Es mag sein, daß in der bisherigen Genehmigungspraxis im atomrechtlichen Verfahren die Auslegung der Hallen nicht Thema war. Wenn aber die Festlegung noch zulässiger Strommengen und Restlaufzeiten zentraler Bestandteil des Atomrechts werden soll, dann muß sich auch die Genehmigungspraxis entsprechend verändern. Die Dimensionierung der Hallen müßte dann im atomrechtlichen Verfahren vor der "grüne Licht Entscheidung" Thema werden.
Mit freundlichen Grüssen
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