Hartwig Berger (Berlin)
Karl-Wilhelm Koch (Daun)
Die Grünen und der Strahlenschutz
Eine vorläufig letzte Bemerkung
Am 12. Oktober hat der Bundesvorstand der Grünen über die
Strahlenschutzverordnung (SSV) beraten und dazu uns als Vertreter
der 2 BDK-Anträge eingeladen. Hinzu kam als Experte und Nicht-Grüner
Sebastian Pflugbeil, jetzt Präsident der Deutschen Gesellschaft
für Strahlenschutz. Der BuVo war fast vollständig vertreten,
für die politische Leitung des BMU nahm Simone Probst teil. Die
Diskussion dauerte gut 1 ½ Stunden, mit dem Ergebnis daß
der BuVo die Position des BDK-Antrags des früheren Bundesvorstands
(der den SSV-Entwurf vorbehaltslos unterstützt) dem Sinne nach
bestätigte und ausdrücklich den vorliegenden BMU-Entwurf
der SSV als Verbesserung des Strahlenschutzes in Deutschland bewertete.
Über den Strahlenschutz will der BuVo ausserdem in der kommenden
Zeit öffentliche Debatten anstoßen und ggf. selber organisieren.
Protokolle von BuVo-Sitzungen zu schreiben, ist weder unsere Aufgabe
noch unsere Kompetenz. Wir wollen daher den Diskussionsablauf nicht
darstellen, aber unsere Sicht der Dinge erläutern. Ich (Hartwig
B.) sehe mich dazu auch verpflichtet gegenüber der BAG Energie,
für die ich seinerzeit in die Fraktions-Anhörung zum Strahlenschutz
delegiert war und deren BDK-Antrag ich gegenüber dem BuVo vertreten
habe.
Zum Thema Strahlenschutz haben nicht nur wir den Eindruck, daß
die Kritiker sowohl beim Umweltminister wie beim BuVo gegen eine Wand
aus Watte laufen. Daß sich zusätzlich die Fraktion aus
der Sache völlig raushält, obwohl sie mit der Fachanhörung
zum Strahlenschutz im April den Stein auch innerparteilich ins Rollen
brachte, hat die Situation wahrlich nicht verbessert. Viele kritische
ExpertInnen haben auf zentrale Mängel und Schwächen des
jetzigen Entwurfs der SSV, auf Aufweichungen des Strahlenschutzes
hingewiesen und das mit guten Argumenten auch erhärten können.
Es ist eine Sache der intellektuellen Redlichkeit, diesen Darlegungen
und Argumenten nachzugehen und sie auf ihre Stichhaltigkeit - oder
Unhaltbarkeit - hin zu überprüfen.
Angesichts dieser Kritik darauf zu bestehen, daß der SSV-Entwurf
eine Verbesserung des Strahlenschutzes darstellt, grenzt u.E. an Realitätsverweigerung.
Die Spitze der Grünen stellt sich damit in Gegensatz zur Fachwelt
im Strahlenschutz, mit der wir Grüne Jahre, wenn nicht Jahrzehnte
zusammengearbeitet haben. Hingegen wird die Bewertung des Umweltministers
und des BuVo von eben jenen StrahlenexpertInnen unterstützt,
die wir in den vergangenen Jahren Verteidiger einer nuklearfreundlichen
Politik kritisiert haben. Die innere Spaltung der Strahlenschutz-Profession
ist keine Sache von "gut" und "böse" oder
von "Wahrheit" und Lüge", sondern der Tatsache
geschuldet, daß wissenschaftliche Erkenntnisbildung nie wertneutral
verfährt, zumal dann, wenn es um Normsetzungen wie die Festlegung
von Grenzwerten geht. Wir empfinden es als dramatisch, wenn Grüne
Minister und Grüne Vorstände, vielleicht ohne es zu wollen
und zu wissen, im wissenschaftspolitischen Streit einen Kurswechsel
um 180 Grad vornehmen. Wir haben sie darauf in den letzten Monaten
mehrfach und deutlich hingewiesen und am 12. 10. daher den BuVo dringend
gebeten, den o.a. Beschluß zur SSV nicht zu fassen.
In der Negativ- bis Nullbewertung des SSV-Entwurfs gibt es eine wichtige
Ausnahme: die Senkung des Störfallplanungswerts für Atomanlagen.
Dieser Schritt ist gut und wichtig, er muß gegen die Atomlobby
hart verteidigt werden. Gegenwärtig wollen andere Ministerien
und verschiedene Bundeslager den Wert auf AKWs beschränken, da
sie -z-B. - Schwierigkeiten für die Genehmigung von Schacht Konrad
fürchten. Wir unterstützen hier gerne Jürgen Trittin,
in der Sache hart zu bleiben. Aber dieser Punkt kann doch keine positive
Gesamtbewertung der SSV rechtfertigen, schließlich ist Strahlenschutz
weit mehr als die Grenzwertfestlegung im Katastrophenfall.
Daß dem Ministerhandeln Grenzen gesteckt sind, ist uns natürlich
klar. Bei einer Regierung und bei Ländermehrheiten, die derart
stark von FreundInnen der Atomlobby beeinflußt sind, ist ein
Grüner Strahlenschutz pur nicht durchsetzbar. Das erwartet auch
niemand. Der Vorwurf war immer: Der Minister hat in wesentlichen Punkten
wie der Grenzwerte-Festlegung, dem Strahlenschutz etwa im Uranbergbau-Gebiet
bei Wismut, beim Schutz schwangerer Frauen oder der wichtigen und
folgenreichen Freigaberegelung nicht den Versuch unternommen, eine
Grüne Handschrift einzubringen. Wahrscheinlich hatte er die falschen
BeraterInnen. Aber dann bestand spätestens mit der Anhörung
der Fachverbände im Mai die Chance, die Punkte der Kritiker aufzugreifen
und wichtige Teile in den Entwurf der SSV einzuarbeiten. Das ist nach
unserem Wissen nicht geschehen.
Wir sind bewußt nicht in fachliche Details gegangen. Wer da
näheres wissen will, kann auf der web-site der AtPO nachschauen
(www.gruene-atpo.de).
Wir sind zutiefst enttäuscht über den Umgang mit dem Strahlenschutz
in unserer Partei. Wie viele andere, haben wir 1986 intensiv erlebt,
welche enorme Angst Millionen Menschen vor den Risiken und Gefahren
der radioaktiven Strahlung ergreift , welche Wut es gab über
eine Atomindustrie, die diese Risiken leichtfertig in Kauf nimmt,
welche Empörung über eine Wissenschaft, die diese Gefahren
verharmlost und vertuscht. Auch kennen wir die großen, dauernden
Sorgen der Menschen, die in der Nähe von Atomanlagen leben. Die
Grünen haben sich in jenen Jahren immer als politische Speerspitze
dieser Ängste, dieser Wut, und Empörung verstanden, sie
haben stark dazu beigetragen, daß sich das Unbehagen an der
Radioaktivität zum politischen Widerstand formte.
Darum bleibt für uns Strahlenschutz ein zentrales Feld bündnisgrüner
Politik. Um so deprimierter sind wir zu sehen, wie jetzt Grüne
VerantwortungsträgerInnen mit dem Strahlenschutz umgehen bzw.
dem Thema ausweichen.
Hartwig Berger
( KV Charlottenburg-Wilmersdorf)
Sprecher des Energiepolitischen Ratschlags
(eines seit 1987 gut funktionierenden Gremiums der Bündnisgrünen
auf Bundesebene),
Karl W. Koch,
Sprecher der LAG Ökologie Rheinland-Pfalz; Mitglied im SprecherInnenrat
BasisGrün
Berlin / Daun, 16.10. 00