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An den persönlich Berlin, den 07.09. 00 Sehr geehrter Herr Minister, lieber Jürgen, Ich bedanke mich für Deine schnelle Antwort auf meinen letzten Brief zum Thema "Strahlenschutzverordnung", wenn sie mich auch in keiner Weise zufriedenstellen kann. Vielmehr treibt Deine Reaktion mich allmählich in einen Zustand politisch begründeter Verzweiflung. Nach Gesprächen mit Sebastian Pflugbeil, den ich als atompolitisch engagierten Experten sehr schätze, habe ich ihn gebeten, den ziemlich komplexen Sachverhalt der Festlegung der Strahlungs-Grenzwerte noch einmal zu Papier zu bringen. Ich sehe keinen Anlaß, an seinen sehr genauen Darlegungen zu zweifeln, sehe aber meine Einschätzung bestätigt, die ich im letzten Brief dezent angedeutet hatte: daß Deine Fachleute im Ministerium ihre Position mit einer Argumentation verteidigen, die zentrale Fakten falsch darstellt oder verschweigt. Solltest Du ruhige 10 Minuten finden, vergleiche doch bitte einmal vorurteilsfrei die Stellungnahme aus Deinem Ministerium, die Du mir im letzten Brief freundlicherweise zugeschickt hast, mit derjenigen von Sebastian Pflugbeil, die ich beilege. Nun weiß ich, daß Du Dich als Minister nicht mit allen verwickelten Details des Strahlenschutzes beschäftigen kannst. Das verlange und erwarte ich auch nicht. Meine politisch begründete Verzweiflung rührt daher, daß Du und Deine politischen MitarbeiterInnen im Ministeriums mit der Kritik am Entwurf der Strahlenschutz-Verordnung ja seit Monaten konfrontiert seid, ohne daß dieser Zustand Lernprozesse auszulösen scheint. Die Kritik wird von den Fachleuten der Umwelt- und Strahlenschutzverbände formuliert, mit denen Grüne über viele Jahre zusammengearbeitet haben. Die Gegenpositionen, die den Entwurf der Strahlenschutzverordnung für gut befinden, werden dagegen von Fachleuten formuliert, denen wir in denselben Jahren, mit guten Gründen, immer Verharmlosung und Beschönigung der Gefahren radioaktiver Strahlung vorgeworfen haben. Nun ist "die Wahrheit" sicher keine Frage der Parteilichkeit. Es sollte zur intellektuellen Redlichkeit von PolitikerInnen aller Couleur gehören, daß sie bereit sein müssen, auch ihre jahrelang gehegten Positionen zu Risiken radioaktiver Strahlung zu hinterfragen und neu zu überprüfen. Dieser Prozeß ist immer ergebnisoffen. Was mich aber zur politischen Verzweiflung treibt, ist, daß Du mit Deinen politischen BeraterInnen ungeprüft und unhinterfragt die Positionen der Gegenseite übernimmst und die Positionen der KritikerInnen schlicht links liegen läßt. Du scheinst überhaupt nicht in Erwägung zu ziehen, daß Deine Verwaltung Dir gefilterte, halbe oder schiefe Informationen gibt - als ob sie nicht Jahre und Jahrzehnte den von uns bekämpften unzureichenden Strahlenschutz anderer Regierungen legitimiert hat. Ich weiß, daß die Zustimmungspflicht des Bundesrats die Möglichkeiten einer wirksamen Verbesserung des Strahlenschutzes sehr begrenzt. Aber deswegen muß doch nicht ein Grüner Minister der kritischen Öffentlichkeit einen Entwurf vorlegen, der sich von einem Novellierungsentwurf eines CDU-geführten Ministeriums nur in Nuancen unterscheidet.
Hartwig Berger, MdA Berlin
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