24.10.2001

Sicherheitsmanagement aller AKW unter der Lupe

Berlin (AP) Wegen der wiederholten Pannen im Atomkraftwerk Philippsburg lässt Bundesumweltminister Jürgen Trittin das Sicherheitsmanagement von sämtlichen deutschen Reaktoren überprüfen. Eine entsprechende Aufforderung habe er an die Atomaufsichtsbehörden der Länder gerichtet, sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch in Berlin. Der Meiler Philippsburg II bleibt auf unbestimmte Zeit abgeschaltet.

Der Betreiber des Kraftwerks habe ein "nicht zu verantwortendes Maß an fehlender Sicherheitskultur bewiesen", sagte Trittin. Er müsse nun Zweifel an seiner Zuverlässigkeit vollständig ausräumen. Am Dienstag hatte die Muttergesellschaft des Kraftwerks, Energie Baden-Württemberg, eingeräumt, dass die Sicherheitsvorschriften in Philippsburg II jahrelang missachtet worden waren. Dies kam Trittin zufolge bei der Aufklärung eines Zwischenfalls vom August zu Tage, deretwegen das Kraftwerk seit Anfang Oktober stillgelegt ist.

Damals war klar geworden, dass das Notfallkühlsystem nach der Revision des Kraftwerks im August nicht voll funktionstüchtig gewesen war. Bei den Ermittlungen zu dem Vorfall wurde nun herausgefunden, dass beim Wiederanfahren des Meilers zudem viel zu wenig Kühlwasser vorhanden war, wie Trittin erläuterte. Darüber hinaus sei dies in den vergangenen 17 Jahren nach der regelmäßigen Revision stets der Fall gewesen. Im Notfall hätte der Reaktor demnach wahrscheinlich nicht ausreichend gekühlt werden können, sagte Trittin. Der Mangel an Kühlwasser in den Flutbehältern hätte den Behörden sofort gemeldet werden müssen. Dies sei aber erst mit zwei Monaten Verspätung diese Woche geschehen. Der Umweltminister sprach von einem gravierenden Ereignis.

Trittin hat nach eigenen Angaben vom Land Baden-Württemberg, der zuständigen Atomaufsicht, einen sofortigen Bericht angefordert, ob diese Praxis im Schwester-Reaktor Philippsburg I ebenfalls gängig gewesen sei. Er schloss weitergehende Sanktionen für diesen Fall nicht aus. Seine Zweifel an der Zuverlässigkeit bezog Trittin vorerst nur auf das örtliche Management in Philippsburg, das für beide Reaktoren zuständig ist, nicht aber auf die Muttergesellschaft Energie Baden-Württemberg.

Sicherheitsmanagement aller Atomkraftwerke wird überprüft

Bevor Philippsburg II wieder angefahren werden darf, muss der Betreiber Trittin zufolge "volle Transparenz über die Ursachen" der Vorfälle herstellen und Konsequenzen daraus ziehen. Entsprechende Vorschläge seien der Stuttgarter Behörde zu unterbreiten. Das Bundesumweltministerium werde sie anschließend prüfen. Der Druck auf den Betreiber, die Zweifel an seiner Zuverlässigkeit auszuräumen, sei am größten, so lange das Kraftwerk keinen Strom produziere.

Die Vorfälle in Philippsburg hätten Bedeutung über Baden-Württemberg hinaus. Die Reaktorsicherheitskommission werde sich am 7. November mit den Fällen befassen. Bei den jüngsten Zwischenfällen in Philippsburg sowie in Biblis und in Isar I - alle drei Reaktoren sind bis zur Aufklärung zeitweise stillgelegt - habe sich stets ein "ungenügender Umgang des Menschen mit der Technik" gezeigt. Das Bundesumweltministerium werde künftig strikt auf einen "sicherheitsorientierten Vollzug des Atomgesetzes" achten.