Hartwig Berger, MdA Berlin

An die
Energiepolitische Sprecherin der Bundestags-Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
Michaele Hustedt

sowie zur Kenntnis
an den Fraktionsvorstand
und
die Abgeordneten im Fraktionsarbeitskreis "Umwelt"


Berlin, den 19.04. 2001

Betr.:
Parlamentarischer Umgang mit der Novellierung des Atomgesetzes


Liebe Michaele,

Du wirst Dich erinnern, dass ich auf dem letzten Treffen der BAG Energie und des Energiepolitischen Ratschlags auf ein Dilemma in der anstehenden Beratung des Regierungsentwurfs des Atomgesetzes hingewiesen habe. Die Gesetzesvorlage ist in engster Absprache mit den an einer Fortsetzung der Atomwirtschaft interessierten Unternehmen entstanden, die im Juni 2000 die "Atomkonsens" genannte Vereinbarung paraphiert ( und im übrigen bis zum heutigen Tag nicht unterzeichnet) haben. Die meisten Umweltverbände und die gesamte Anti-Atombewegung haben gegen diese Vereinbarung bekanntlich nicht nur aus inhaltlichen Gründen Position bezogen, sondern auch, weil die Regierung über die Zukunft der Atomtechnologie ausschließlich mit den wirtschaftlichen Interessenten verhandelt, gesellschaftliche Kreise mit atomkritischer Sicht hingegen außen vor gelassen hat.

Ich meine, dass die Einbringung des novellierten Atomgesetzes in den Bundestag der Zeitpunkt ist, an dem sich die erste Gewalt im Staate zu einer gründlichen Korrektur dieses höchst einseitigen Verfahrens entschließen sollte und ich möchte Dir als verantwortlicher Fachabgeordneter für die Atompolitik nahe legen, Dich dafür mit aller Kraft einzusetzen:

Der Bundestag sollte das Atomgesetz schon aus Gründen der demokratischen Selbstachtung wirklich ergebnisoffen beraten, wobei sich auch die Abgeordneten der Koalition nicht durch den Atomkonsens die Hände binden lassen dürfen. Das Parlament darf sich nicht als Vollzugsinstrument des Regierungswillens verstehen, es muß auf seiner verfassungsmäßigen Unabhängigkeit bestehen und darf sich auch durch die Drohung des Atomkonzerne, bei Änderungen des Gesetzentwurfs den (nicht unterschriebenen) Konsens mit der Regierung aufzukündigen, nicht beeinflussen lassen.

Erst diese erklärte Unabhängigkeit als ParlamentarierInnen gibt Euch den Raum und die Glaubwürdigkeit, die KritikerInnen einer fortgesetzten Atomwirtschaft wirklich ernsthaft in die Debatte um das Atomgesetz einzubeziehen: Es muß eine intensive und ausführliche Diskussion des Gesetzes in Form von Anhörungen stattfinden, in der die Kritik uneingeschränkt zur Sprache kommen kann. Dazu müssen die eingeladenen Verbände und ExpertInnen aber wissen, dass die Anhörung keine parlamentarische Trockenübung ist, die der Gesetzentwurf unverändert passiert; sie müssen vielmehr darauf bauen dürfen, dass ihre Vorschläge und Einwande eine ernsthafte Chance haben, in entsprechende Veränderungen des Gesetzes einzugehen.

Ich halte es für zentral, dass gerade die bündnisgrüne Fraktion sich für ein solches ergebnisoffenes und für die Atomkritik chancenreiches Verfahren einsetzt. Auf keinen Fall dürft Ihr Euren Handlungsspielraum durch den Atomkonsens lähmen lassen, wie das Kaninchen durch die Schlange. Ihr würdet damit nicht nur der Demokratie in unserem Land Schaden zufügen; Ihr würdet so auch die ohnehin kaum erträgliche Kluft, in die wir mit der wirtschaftskonsensuellen Atompolitik geraten sind, vollständig unüberbrückbar machen. Wer in den letzten Wochen als Grüne/r die Aktionen und Aktivitäten der Antiatombewegung miterlebt oder mitgemacht hat, wird wahrscheinlich meine Einschätzung bestätigen: Es ist für eine Partei tödlich und auf Dauer untragbar, wenn sie durch ihre Politik ein zentrales gesellschaftliches Milieu, dem sie entstammt, in entschiedene Gegnerschaft zu sich treibt. Vor allem, wenn dieses Milieu überhaupt nicht an Überalterung und Aktivitätsschwund leidet, sondern sich derzeit kräftig verjüngt und erneuert.

Liebe Michaele,
Ich bitte Dich, das Anliegen dieses Briefes wirklich ernst zu nehmen und Dich entsprechend einzusetzen. Du wirst verstehen, wenn ich das Schreiben auch sonst in Eurer Fraktion und in der bündnisgrünen Partei verbreite, da die Sache ja von weitreichendem Interesse ist.

Mit freundlichen Grüßen


Hartwig Berger, MdA und Sprecher des Energiepolitischen Ratschlags

 

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