Berlin, den 06.10. 00

Offener Brief

An den
Bundesvorstand Bündnis 90/Die Grünen
Platz vor dem neuen Tor
10115 Berlin


Mängel und Umweltrisiken bei den geplanten Atom-Zwischenlagern

Liebe Renate, lieber Fritz,

Die Diskussion auf dem letzten Treffen der BAG Energie und des Energiepolitischen Ratschlags, am 29.09. in Berlin, veranlaßt mich, Euch auf eine gefährliche Entwicklung bei der Genehmigung von Zwischenlagern an den AKW-Standorten hinzuweisen. Die bisherigen Vorgaben des Bundes-Umweltministeriums und der enorme Zeitdruck, der in den Verfahren ausgeübt werden, scheinen dazu zu führen, daß wesentliche Kriterien der Sicherheit und der Umweltvorsorge ignoriert werden, für die Grüne immer gestanden und gekämpft haben:

1.
Das Ministerium geht weiterhin davon aus, daß die Lager nicht gegen Flugzeugabstürze und gegen terroristische Anschläge geschützt sein müssen. Angesichts der Tatsache, daß diese Lager voraussichtlich über 40 Jahre lang in der Landschaft stehen werden und damit selbst die Lebensdauer der AKWs weit übertreffen, ist das eine abenteuerliche Leichtfertigkeit. Es kann doch nicht sein, daß Grüne mittlerweile dem Sicherheits"denken" der Atomlobby folgen, die - zB für Gorleben und Ahaus - immer davon ausgegangen ist, daß diese Sicherheit nur für die "CASTOR"-Behälter selbst gelten müsse, nicht jedoch für die Lagerhallen. Abgesehen davon, daß für Behälter, die bisher nicht einmal in realen Falltests geprüft wurden, diese Sicherheit mit Fug und Recht bezweifelt werden muß.

2.
Große Sorge macht vielen Grünen auch, daß ein sog. "Scoping" in der Umweltverträglichkeitsprüfung und eine öffentliche Auslegung der TÜV-Gutachten, geschweige die Verbreitung aller Planungsunterlagen im Internet, nicht immer vorgesehen ist. "Scoping" meint, daß vor der Durchführung einer UVP gemeinsam mit Umweltverbänden Art, Ausmaß und Dimensionen der Prüfungen möglicher Umweltauswirkungen erörtert und festgelegt werden. Es darf nicht sein, daß Grüne UmweltpolitikerInnen viele Jahre für dieses Scoping gestritten haben, und das Grün geführte Umweltministerium sich bei den besonders problematischen atomaren Zwischenlagern dieser Verpflichtung entzieht.

3.
Ein schlimmes Problem stellt sich mit der Dimensionierung der geplanten Lager. Um der geplanten gesetzlichen Regelung begrenzter Restlaufzeiten Nachdruck zu verleihen, müssen diese Lager natürlich auf die noch anfallenden Mengen abgebrannter Brennelemente hin ausgelegt werden. Das ist jedoch ganz offensichtlich nicht der Fall. Das Umweltministerium zieht sich, wenn man es auf dieses Dilemma hinweist, auf die Flexibilitätsklausel zurück, die im Atomkonsens bei der Bemessung von Strommengen vereinbart worden ist. Die Betreiber müßten nicht jetzt entscheiden, welche Strommengen in welchen Kraftwerken realisiert werden sollen.
Ich finde diese Argumentation, abgesehen von meiner Euch bekannten ablehnenden Haltung zum Atomkonsens, überhaupt nicht überzeugend: Spätestens die Mengenbegrenzung in den Zwischenlagern muß Anlaß sein, die Betreiber auf eine Festlegung der geplanten Strommengen pro AKW zu verpflichten. Die Linie Grüner Politik sollte doch sein: Zwischenlager nur mit klarer Mengenbegrenzung, ohne diese Festlegung also kein Zwischenlager.

4.
Abschließend möchte ich mein tiefes Unbehagen über die Politik der Errichtung standortnaher Zwischenlager nicht verhehlen. Langfristig halte ich sie für einen der größten Fehler, der mit dem Atomkonsens begangen worden ist. Setzt sich diese Politik durch, werden wir demnächst neben Gorleben und Ahaus 14 weitere Atomlager im Lande stehen haben. Diese Lager werden die Atomkraftwerke am Standorte viele Jahre, teilweise Jahrzehnte überdauern. Sie bergen mit die größten und gravierendsten Umweltrisiken, die die Industriegesellschaft geschaffen hat. Das radioaktive Potential, daß hier bei einer Katastrophe freikommen kann, übersteigt jede Phantasie des Grauens. Statt 2 haben wir dann 16 dieser hochbrisanten radioaktiven Zeitbomben im Land - Folge einer von Grünen geplanten und von Grünen gestützten Politik . Ihr werdet vielleicht verstehen, warum ich auch in diesem Punkt den Atomkonsens für eine grundfalsche Politik halte.

Ich bitte Euch ernsthaft und dringend, Euch mit der hier dargestellten Problematik politisch auseinanderzusetzen.


Mit weiterhin atomkraft-feindlichen Grüssen


Hartwig Berger, MdA
Sprecher des Energiepolitischen Ratschlags von Bündnis 90/Die Grünen
Tel.: 030 -31 31 17 30

 

zurück zur letzten Seite