15.10.2001

Die innere Sicherheit und die Atomenergie

Eine erneute Diskussion um den Atomausstieg ist dringend notwendig, die ATG-Novelle darf in der jetzigen Fassung nicht verabschiedet werden.


Sicherheit vor terroristischen Anschlägen

Der 11. September mit seinen brutalen Anschlägen in New York und Washington hat allen bewusst gemacht, wie empfindlich die Wirtschafts- und Industriemächte zu treffen sind. Ein Anschlag auf eine Industrieanlage oder gar ein Atomkraftwerk kann ungleich mehr Opfer zur Folge haben als die Anschläge in den USA.

Es hat nichts mit Panik zu tun, wenn Menschen nach der Sicherheit von Atomkraftwerken vor Anschlägen fragen. Diese Frage ist nun lediglich in die Öffentlichkeit gedrungen, Fachleute hielten dies schon immer für möglich. Dennoch wurde dieser Aspekt nie in Betracht gezogen, wenn es um die Sicherheit von Anlagen ging, obwohl der §7, Absatz 2.5 des AtG auch hier ansetzt. Aktuell zeigt sich dies bei den Genehmigungen bzw. Plänen zur Errichtung von Zwischen- bzw. Interimslagern. Bei einigen süddeutschen Zwischenlagern sind Betonstärken von 0,55 bis 0,85 m vorgesehen, nicht mehr, als bei einer Kartoffelscheune verwendet wird. Die Interimslager sind Stellplätze unter freiem Himmel, es gibt lediglich einen Witterungsschutz durch mobile Wände.

Bereits 1986 gab es einen deutschen Polit-Thriller ("Gambit") im deutschen Fernsehen, bei dem es um Anschläge auf ein Atomkraftwerk ging. Beim Bau der deutschen AKWs befanden wir uns noch in den Zeiten des Kalten Krieges, es musste also die Gefahr eines Militärschlages gegen eine Anlage in Betracht gezogen werden. Dennoch brauchten sie nicht gegen Kriegseinwirkungen ausgelegt werden, dass sie diesen widerstehen könnten. Erst auf öffentlichen Druck hin kam es "immerhin" zur baulichen Vorgabe, dass sie einem Absturz eines leichten Militärflugzeuges widerstehen müssen.

Das Verhalten der Politik war und ist daher grundsätzlich falsch, wenn sie das Thema nicht öffentlich und ehrlich diskutieren zu wollen. Eine Begründung, damit Terroristen einen Fingerzeig zu geben, ist lächerlich.

Die Absicht von Jürgen Trittin, bei konkreter Gefahr die Atomkraftwerke abzuschalten, ist zu wenig.
Wann ist eine konkrete Gefahr zu erkennen? In den USA war sie es am 11. September jedenfalls nicht.

- Nach der (Schnell-)Abschaltung eines AKW besteht noch wochenlang die Gefahr eines Super-GAUs. Der Flug von Frankfurt nach Biblis dauert nur zehn Minuten, nach Philippsburg nur wenig mehr und diese AKWs in der Rheinebene sind relativ einfach anzusteuern. Zu welchem Zeitpunkt kann man sich sicher sein, dass ein Flugzeug für einen Anschlag verwendet wird? Das gilt natürlich auch für viele andere AKWs in der Bundesrepublik.
- Die Betreiber selbst haben bereits in den siebziger Jahren erkannt, dass die Infiltration des Betriebspersonals durch Terroristen oder ein Angriff mit panzerbrechenden Waffen die Archillesferse der Atomkraft ist (Klaus Traube, früher verantwortlich für den Reaktorbereich bei AEG, bei Interatom, heute Energiesprecher beim BUND, im taz-Interview vom 11.10.2001 |
Seite des BUND
).

Solange ein AKW am Netz ist, kann es demnach keine Sicherheit für die Bevölkerung geben.

Deshalb ist zu fordern, dass die zehn AKWs, bei denen keinerlei Schutz vorhanden ist (Obrigheim, Stade, Biblis A, Biblis B , Neckarwestheim 1, Unterweser, Brunsbüttel, Isar 1, Philippsburg 1 und Krümmel) sofort vom Netz genommen werden, die anderen - je nach Ergebnis - nach der vom Bundesumweltminister Trittin eingeleiteten Sicherheitsüberprüfung, die bis Mitte Oktober beendet sein soll, und die vermutlich ebenfalls aufzeigen wird, dass auch diese Anlagen keinen Schutz vor einem terroristischen Anschlag bieten.

Ebenso ist das Zwischenlager- und Interimslagerkonzept zu überprüfen. Auch diese müssen gegen terroristische Anschläge geschützt sein, der Frage nach dem Sinn einer Dezentralisierung ist erneut nachzugehen. (siehe auch Anhang: Absturz auf La Hague laut Studie schlimmer als Tschernobyl)


Zuverlässigkeit der Betreiber

Nicht erst seit dem 11. September ist es um die Sicherheit der deutschen Bevölkerung schlecht bestellt. So gibt es Gefährdungspotentiale durch deutsche Atomkraftwerke von außen (Terror) wie auch von innen (Betreiber). Erst am 25. August war festgestellt worden, dass im AKW Philippsburg 2 bereits seit zwei Wochen in drei von vier Flutbehältern eine zur Beherrschung von Störfällen erforderliche Borsäure-Konzentration fehlte. Die Betreiber hatten der Aufsichtsbehörde das Risiko als sicherheitstechnisch bedeutungslos gemeldet, erst die Atomaufsicht brachte die wahre Gefahr ans Licht: bei einem mittleren bis großen Leckstörfall dienen die Flutbehälter zur Verhinderung einer Kernschmelze (GAU).

Unverständlich ist, warum nur der Block 2 vom Netz genommen wurde und nicht auf Weisung des Bundesumweltministers wenigstens beide Blöcke des AKW Philippsburg. Mit seinem Verhalten stellte der Betreiber nämlich seine Zuverlässigkeit in Frage. (§7 Atomgesetz, siehe Anhang)

Das ist jedoch nicht das erste Mal, dass berechtigte Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Betreibers bestehen:

- Vor einigen Wochen machte die Meldung Schlagzeilen, dass ein Mitarbeiter des Kernforschungszentrums in Karlsruhe radioaktive Stoffe an den Kontrollen vorbei aus dem Betrieb schmuggeln konnte.
- Laut "Stern" wurden vor kurzem am Institut für Transurane, einer Einrichtung des Karlsruher Kernforschungszentrums Personen bereits eingestellt bzw. haben Tätigkeiten in Fremdfirmen aufgenommen, obwohl die eingeleitete Überprüfung seitens der Verfassungsschutzbehörden noch nicht abgeschlossen war. Eine der betroffenen Personen soll sogar im Verdacht stehen, Gründer einer vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuften arabisch-islamistischen Vereinigung zu sein.

Weitere Fälle gibt es zuhauf und nicht nur in Baden-Württemberg:

- im AKW Isar 1 wurden für ein Gutachten offensichtlich manipulierte Dokumente herausgegeben.
- 1987 wurde ein Beinahe-GAU des AKW Biblis A vertuscht. Spätere Untersuchungen zeigten gravierende Mängel auf, die bis heute nur zu einem geringen Teil beseitigt wurden. Für die Revision im Jahr 2001 wurde vom Bundesumweltministerium wiederum nur die Beseitigung eines Teils der Mängel gefordert.
- 1996 wurde bekannt, dass beim Bau des AKW Krümmel beim Verschweißen des Reaktordruckbehälters (RDB) gepfuscht wurde: Die Teile des RDB waren bei der Anlieferung weit über das zulässige Maß verzogen und wurden gepresst, so dass ein Verschweißen überhaupt möglich war. Die vom Betreiber vorzuhaltenden Bauunterlagen waren nach Bekanntwerden des Pfusches plötzlich nicht mehr auffindbar.
(siehe auch die Studie von 1999 für den BUND "Atomstrom 2000: Sauber, sicher, alles im Griff? / Aktuelle Probleme und Gefahren bei deutschen Atomkraftwerken, erstellt von Dr. Helmut Hirsch | Seite des BUND)

Die Zuverlässigkeit der Betreiber nach AtG ist durch deren Verhalten immer wieder fraglich. Offensichtlich wird das Fehlverhalten immer wieder "heruntergekocht", die Sicherheit der Bevölkerung (Unversehrtheit, Grundgesetz) scheint nicht von Relevanz zu sein.

Die Zuverlässigkeit der Betreiber nach §7 AtG muss von einer von wirtschaftlichen Interessen und der Atomenergie unabhängigen Einrichtung überprüft werden. Dazu müssen entsprechende Kriterien aufgestellt werden, die dies gewährleisten. Ist diese Zuverlässigkeit bei einem Betreiber nicht gegeben, müssen alle Anlagen dieses Betreibers sofort vom Netz genommen werden.


Die Situation macht eine neue Diskussion um den Atom-Konsens notwendig

Die Klärung dieser Fragen darf nicht auf Grundlage des Atomkonsens (noch nicht verabschiedete AtG-Novelle) geschehen, vielmehr muss dies schnellstmöglich unter dem noch geltenden Gesetz erfolgen.

Fritz Kuhn stellte auf dem Regionaltreffen am 13.10. in Stuttgart die Frage nach der Zuverlässigkeit der Betreiber und forderte, ältere Anlagen eher abzuschalten. Die Gefahr, die von den AKWs ausgeht, sieht er demnach auch, auch stellte er fest, dass La Hague die gefährlichste Anlage Europas sei. Die Forderung, lediglich die gegen Anschläge unsichersten Atomkraftwerke stillzulegen, würde nach der ATG-Novelle dazu führen, dass sich die Laufzeit der restlichen neun AKWs entsprechend der ausgehandelten Strommengen für die abgeschalteten AKWs verlängern würde.

Die ATG-Novelle besagt, dass "für die verbleibende Laufzeit auf einem hohen Sicherheitsniveau der geordnete Betrieb der Kernkraftwerke sichergestellt werden soll". Das kann bedeuten, dass die Sicherheit erhöhenden Investitionen vom Bund und damit von den SteuerzahlerInnen finanziert werden müssen.

Da die Aspekte der Sicherheit gegen Terroranschläge gesehen und dennoch nicht beachtet wurden (s. Klaus Traube | Seite des BUND) und grundsätzlich die Sicherheit vor Ökonomie stehen muss und die AKWs beim derzeitigen Sicherheitsniveau sofort abzuschalten sind.

Eine erneute Diskussion um den Atomausstieg ist deshalb dringend notwendig, die ATG-Novelle darf in der jetzigen Fassung nicht verabschiedet werden.

Ralf Henze, KV Mannheim
Hartwig Berger, Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin
Sylvia Kotting-Uhl, Landesvorstand Baden-Württemberg